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Fundbericht aus "Archäologie im Rheinland 2003" (Autorin: Anke Rehorst)

Ungewöhnliche Funde im Kriegsgefangenenlager Rheinberg

Vom September 2002 bis Februar 2003 wurde eine archäologische Untersuchung im Areal des geplanten ALDI-Logistikzentrums Rheinberg durchgeführt. Das Plangebiet umfasste ca. 17 ha und liegt westlich des Ortsteils Annaberg.

Dieses Areal liegt innerhalb des Kriegsgefangenenlagers von Rheinberg, das ab dem Frühjahr und bis zum Sommer des Jahres 1945 errichtet und genutzt wurde ( „Rheinwiesenlager"). Das Lager wurde schon Ende 1945 eingeebnet und in den 1960er und 1970er Jahren zum großen Teil undokumentiert überbaut. Der noch nicht bebaute Teil ist als Bodendenkmal ausgewiesen. Aus diesem Gründen wurde vom Rheinischen Amt für Bodendenkmalpflege eine archäologische Untersuchung angeordnet. Ziel dieser Maßnahme war die Erfassung und Dokumentation der Lagerstruktur.

Die Grabung fand unter sehr schwierigen Bedingungen statt, da sie während der laufenden Bauarbeien durchgeführt werden musste und diese nicht behindern durfte. So können die archäologischen Ergebnisse nur als stark ausschnitthaft angesehen werden.

Die erwarteten zahlreichen Befunde des Kriegsgefangenenlagers blieben aus. Es fanden sich weder die von anderen Grabungen in solchen Lagern bekannten Erdlöcher, Hinterlassenschaften der Gefangenen noch Lagerstraßen, wie sie in anderen Lager in großer Zahl dokumentiert worden sind (z.B. Mönchengladbach-Güdderath oder Mönchengladbach-Wickrathberg). Problematisch ist insgesamt, dass die Angaben zur Ausdehnung und Struktur des Lagers widersprüchlich sind. Offizielle Berichte über die Ausdehnung und Gestaltung existieren offenbar gar nicht. Es muss deshalb davon ausgegangen werden, dass auf dem untersuchten Areal keine Gefangenen untergebracht waren. Es finden sich nicht einmal sichere Hinweise (außer größeren Mengen Stacheldraht in zwei Gruben) darauf, dass dieser Teil überhaupt zum Lagergelände gehörte.

Während der im Vorfeld des Projektes durchgeführten Archiv-Recherchen ergaben sich Hinweise darauf, dass sich im Grabungsareal Teile eines Heerlagers aus dem 17. Jahrhundert befunden haben müssten. Rheinberg war seit dem letzten Drittel des 16. Jahrhunderts ein Brennpunkt der niederländischen Befreiungskriege. Und auf mehreren zeitgenössischen Stichen ist im Bereich westlich des Annaberges ein niederländisches Heerlager eingetragen. Die gefundenen Kanonen- und Musketenkugeln können in diese Zeit datiert werden, lassen aber keine genaueren Aussagen zu. Direkt diesem Lger - bei dem es sich offenbar um ein befestigtes Zeltlager handelte - zuzuordnende Befunde konnten nicht aufgedeckt werden.

Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang der Fund von vier Münzen. Die zwei Silbermünzen waren zu stark korrodiert, um noch Aussagen über die Münzbilder zuzulassen. Besser erkennbar waren die Motive der zwei Kupfermünzen. In Stelle 295 fand sich ein sog. Stüber. Er zeigt auf der Vorderseite noch schwach das Wappen der Fürsten von Jülich-Kleve-Berg-Mark-Ravensberg-Moers, auf der Rückseite, besser erhalten, ein Kreuz mit Mittelrhombus und verknüpften Kreuzbalken. In dieser Motivkombination wurden Stüber nur in der Zeit zwischen 1609 und 1624 geschlagen.

Die Motive der zweiten Kupfermünze aus Stelle 5 (s. Abbildung) waren nur fragmentarisch erkennbar.

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Es ist noch ein Teil der Jahreszahl erkennbar, 1(6)19 (auf der Abbildung im linken Bild, auf dem Kopf stehend), neben einem nur noch schwach erkennbaren Mittelmotiv (möglicherweise ein bekrönter Wappenschild vor gekreuzten Balken) Diese Hinweise sowie die erkennbaren Reste der Umschrift scheinen auf eine niederländische oder belgische Herkunft zu deuten.

Die einzige Zeitspanne, die sich deutlich in den archäologischen Ergebnissen niederschlägt, ist der 2. Weltkrieg. Es fanden sich zahlreiche Waffenteile wie Granaten und –zubehör, Handgranatenteile und Patronenhülsen. Der überwiegende Teil dieser Funde stammt aus einem zusammenhängenden Graben- und Grubenkomplex – offensichtlich ein Geschützstand. Die eingepunzten Typnummern der dort gefundenen Patronenhülsen können einem Maschinengewehr des US-Militärs zugeordnet werden.

Die rätselhaftesten Funde dieses Projektes sind drei nahezu vollständig erhaltene menschliche Skelette, die nahe beieinander an der südöstlichen Flächengrenze aufgedeckt wurden, direkt neben dem „Geschützstand" aus dem 2. Weltkrieg.

Auffällig war die Vollständigkeit der Skelette bis hin zu den kleinen Knochen der Finger- und Zehenspitzen. m Gegensatz zu der Vollständigkeit der Knochen fiel auf, wie mürbe die Knochensubstanz aber letztendlich war. Sie zerfielen buchstäblich bei der Bergung.

Der Zustand der Zähne gab erste Hinweise auf eine mögliche Datierung und das Lebensalter der Bestatteten. Bei zumindest zweien der Skelette waren die Weisheitszähne vorhanden, was für ein adultes Entwicklungsstadium spricht. Überdies zeigten die Zähne starke Abnutzungserscheinungen, wie sie durch mit Steinmehl durchsetzte Getreideprodukte oder sehr starke Beanspruchung entstehen.

Zwei der Skelette wiesen auch sehr schwere Verletzungen auf. Bei dem Befund aus St. 234 fand sich eine schwarz verfärbte/verbrannte Stelle im Bereich des Hüftgelenks, die sich über einen Teil des Beckens und des Oberschenkelknochens erstreckte. Möglicherweise handelte es sich um eine Schuss- oder Explosionsverletzung.

Noch gravierender war die Verwundung bei dem Skelett in St. 433. Das linke Wadenbein war regelrecht zertrümmert.

Beigaben im strengen Sinne oder Trachtbestandteile wurden nicht beobachtet, auch nicht die bei Soldaten des Zweiten Weltkriegs zu erwartenden Erkennungsmarken. Allerdings fanden sich einige Gegenstände neben oder bei den Skeletten, darunter eine kleine Nadel mit Kugelkopf. Die geringen Beifunde erlaubten keine Datierung.

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Es handelt sich offensichtlich um „ordentliche" Bestattungen. Das legen die Haltung und auch die Art der Bestattung nahe. Die Skelette fanden sich in engen, leicht trapezförmigen Grabgruben. Bei allen Bestattungen waren die Unterarme über den Bauchraum zusammengelegt. Die Füße lagen sehr eng zusammen, so dass sie teilweise überlappten. Hinweise, die auf das Einhüllen der Körper in eine Art „Leichentuch" sprechen. Eine Bestattung dieser Art spricht ebenfalls nicht für einen Zusammenhang mit dem Kriegsgefangenenlager oder dem amerikanischen Geschützstand. Kriegsgefangene wären einfach verscharrt, die Leichen gefallener Soldaten spätestens nach Beendigung der Kampfhandlungen geborgen worden. Auch der Erhaltungszustand, der Zustand der Zähne sowie das Fehlen der iErkennungsmarken sprechen für eine frühere Epoche als das 20. Jahrhundert.

Es liegt deshalb nahe, die Bestattungen mit den Kämpfen um Rheinberg im 16./17. Jahrhundert in Verbindung zu bringen. Vielleicht handelt es sich um getötete Landsknechte.

Leider konnte auf Grund der schon eingangs erwähnten Beschränkungen, die dem Grabungsprojekt auferlegt waren, nicht festgestellt werden, ob in der Nähe der drei aufgedeckten noch weitere Gräber lagen, da diese Bereich nicht genauer untersucht werden konnten.

Als Fazit kann gesagt werden, dass sich in dem untersuchten Areal keine direkten Hinweise auf das "Rheinwiesenlager" fanden. Wahrscheinlich werden sich auch bei weiteren Untersuchungen keine Informationen mehr finden lassen, da der zentrale Bereich sich unter der Siedlung Annaberg befindet und dadurch seit mehreren Jahrzehnten überbaut und zerstört worden ist.

Literaturhinweise:

A. Noss: Die Münzen von Jülich, Kleve, Berg und Moers. München 1929

Paul Feltes: „la putana de la guerra". Die kurkölnische Festung Rheinberg, von den Truchseßschen Kriegen 1583 bis zur Säkularisation durch Napoleon 1815. Privatausgabe durch den Autor, Rheinberg 1997

Stadt Rheinberg: Das Kriegsgefangenenlager Rheinberg 1945. Zeitzeugen sagen aus. Eine Dokumentation; Rheinberg 1995